Nach dem Zusammenbruch des Immobilienmarktes wechselten viele Spekulanten in den Rohstoffsektor. Heute führen noch weniger als 3 % der Rohstoff-Termingeschäfte zu einer tatsächlichen Warenlieferung; die restlichen 97 % werden vorher wieder aufgelöst. Der vorzeitige Verkauf der Positionen führt nicht – wie man vermuten könnte – zum Preiszerfall, weil das Geld sofort wieder angelegt wird. Dieser Effekt wird „roll-over“ genannt. Der Marktpreis von Lebensmitteln wird heute nur noch am Rand durch Angebot und Nachfrage geregelt. Den grössten Einfluss üben die Launen der Finanzakteure aus, die am Schreibtisch in Aktien, Devisen und andere Wertpapiere investieren.
Der Spekulant muss nur einen Bruchteil des Gegenwerts seines eingegangen Vertrags als Sicherheitsmarge hinterlegen.“ Dirk Müller Börsenexperte und Bestsellerautor
Eine wachsende Zahl von wissenschaftlichen Studien belegen, dass solche Spekulationen die Preisschwankungen verstärken, und somit die Hungerkrise in zahlreichen armen Ländern verschärfen können. Es ist zum Beispiel erwiesen, dass die Zunahme von 850 Mio. auf 1 Mia. Hungernde 2007/08 mit der Nahrungsmittelspekulation zusammenhängt. Viele Politiker bestreiten diese Zusammenhänge, da einige Studien keinen Zusammenhang feststellen konnten.
Merkwürdig / Paradoxon
Früher bestimmten die erwarteten Erntemengen und die Wetterereignisse den Preis. War ein beliebtes Gut knapp, war man bereit mehr dafür zu zahlen. Auch heute noch geschieht das so, mit dem Unterschied, dass viele Händler das Gut nur auf dem Papier und nicht ‘in echt‘ möchten. Mitunter wurde 2010 zehnmal mehr Weizen gehandelt, als überhaupt produziert wurde. Der weltweite Rohstoffhandel ist gleich gross wie das Bruttoinlandprodukt der Bundesrepublik Deutschland.
Wenn ein Verkäufer sieht, dass sein Produkt beliebt ist, oder in naher Zukunft z.B. wegen einer Missernte knapp werden könnte, treibt er den Preis zusätzlich nach oben. Seit der Globalisierung kann auch ein Herdenverhalten festgestellt werden. Man schaut bei den Nachbarn ab, und macht dann das Gleiche. Wenn die Blase platzt, werden die Gelder umso schneller herausgezogen. Die Realwirtschaft wird also destabilisiert, weil kleine Preisschwankungen schnell zu Preissprüngen führen können.
Obwohl über 97 % der Rohstofftermingschäfte nur auf dem Papier bestehen, orientieren sich Produzenten und Händler an der Terminbörse. So zahlen Händler paradoxerweise heute schon einen höheren Betrag, um nicht morgen möglicherweise noch mehr zu bezahlen. Leider profitieren von diesen Preisspitzen vorwiegend die Zwischenhändler und Grossbauern. Die Kleinbauern erzielen im Gegensatz dazu oft kleinere Verkaufspreise.
Die Spekulationsstopp-Initiative der Juso
Die Eidgenössische Volksinitiative „Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln“ will die Bundesverfassung mit dem folgenden Text ergänzen:
[...] a. Banken, Effektenhändler, Privatversicherungen, kollektive Kapitalanlagen und ihre mit der Geschäftsführung und Vermögensverwaltung befassten Personen, Einrichtungen der Sozialversicherung und andere institutionelle Anleger und unabhängige Vermögensverwalter mit Sitz oder Niederlassung in der Schweiz dürfen weder für sich noch für ihre Kundschaft und weder direkt noch indirekt in Finanzinstrumente investieren, die sich auf Agrarrohstoffe und Nahrungsmittel beziehen. Dasselbe gilt für den Verkauf entsprechender strukturierter Produkte.
b. Zulässig sind Verträge mit Produzenten und Händlern von Agrarrohstoffen und Nahrungsmitteln über die terminliche oder preisliche Absicherung bestimmter Liefermengen. [...]
Absatz b) ermöglicht es also, zwischen konventioneller und exzessiver Spekulation zu unterscheiden. Die Initiative wird stark kritisiert, weil man wieder einmal den Finanzplatz Schweiz in Gefahr sieht. Die Auswirkungen für die Schweizer Banken und Versicherungen wäre allerdings verkraftbar, wenn man bedenkt, dass weniger als 1 % der verwalteten Vermögen betroffen wären. Trotzdem hätte das Verbot weltweite Auswirkungen auf bestimmte Branchen.
Rund die Hälfte des weltweiten Kaffee- und Zuckerhandels erfolgt über Firmen der Genferseeregion.“ NZZ, Davide Scruzzi, 5.6.2015, Angst vor Spekulationsstopp-Initiative
Einige Kritiker finden, um Imageschäden und Benachteiligungen zu vermeiden, solle der Bundesrat lieber Positionslimiten ins Finanzmarktinfrastrukturgesetz aufnehmen. Andere Leute monieren, dass von den 3,2 Mia. Franken Entwicklungshilfe doch schon 250 Mio. in Landwirtschaftsprojekte gingen. Aber wenn wir ehrlich sind, kann es doch nicht sein, dass einerseits reiche Spekulanten auf Kosten der Drittweltbauern noch reicher werden und der Steuerzahler dann andererseits die ‘Dritte Welt‘ mit Entwicklungshilfe unterstützen muss. Wäre der Markt im Allgemeinen ‘fair(er)‘, würde also fair entlohnt, wer sein Agrargut im Schweisse seines Angesichts produziert, könnten viele sich verschärfende Probleme, wie Armut und Hunger, stark abgemildert werden. Klar ist, dass die Schweiz alleine nicht viel ausrichten kann. Die Annahme einer solchen Initiative hätte aber mit Sicherheit eine breite Signalwirkung.
Weitere Informationen:
Brot für Alle Factsheet
Welthungerhilfe
Juso Spekulationsstoppinitiative
Quelle NZZ
Alliance Sud
Quelle Dirk Müller
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