Wann kippt der Amazonas-Regenwald?

Forschende melden, dass der Amazonas-Regenwald seinen Klima-Kipppunkt womöglich noch in diesem Jahrhundert erreichen wird. Die Folgen wären weitgehend unvorhersehbar.

Wann kippt der Amazonas-Regenwald?
Die über 15‘000 Baumarten des Amazonas-Regenwaldes speichern enorme Mengen von CO2 (Tom Fisk, Pexels)

Die Amazonaswälder existieren schon seit mehreren Millionen Jahren. Über diesen Zeitraum blieben sie relativ widerstandsfähig gegenüber Klimaschwankungen. Heute ist das Gebiet jedoch zunehmend extremen Dürren, Entwaldung und Bränden ausgesetzt – die Widerstandsfähigkeit der Ökosysteme nimmt ab. Damit entsteht das immer grössere Risiko für einen kritischen Übergang: Der Regenwald könnte seinen Kipppunkt schon deutlich früher erreichen als bisher prognostiziert.

Ein Forschungsteam von der Federal University of Santa Catarina in Brasilien hat nun genauer untersucht, ob tatsächlich ein großflächiger Zusammenbruch des Amazonas-Waldsystems in diesem Jahrhundert stattfinden könnte und ob dies mit einem bestimmten Wendepunkt verbunden wäre. Dafür werteten sie Beobachtungsdaten (Satellitendaten seit den 1980er Jahren), Klimadaten aus der Region (sie decken einen Zeitraum von ca. 65 Millionen Jahren ab) und Modellstudien zu kritischen Stressfaktoren im System aus. Die Forschenden bewerteten dabei potenzielle Schwellenwerte und wichtige Rückkopplungen, die den Regenwald in Richtung eines Kipppunktes treiben könnten.

Der Amazonas-Regenwald – ein komplexes System

Im Regenwald verbinden sich Ökosysteme, viele verschiedene Arten und menschliche Kulturen. Er beherbergt über 10 Prozent der terrestrischen Artenvielfalt sowie mehr als 40 Millionen Menschen. Weiters ist der Regenwald für bis zu 50 Prozent der Niederschläge in der Region ausschlaggebend und ist damit von entscheidender Bedeutung für die Wasserversorgung in ganz Südamerika. Dadurch können Wirtschaftsaktivitäten und weitere Biome (Lebensgemeinschaft von Flora und Fauna in einem grösseren geografischen Raum) in ansonsten trockenen Regionen gedeihen – etwa die Feuchtgebiete des Pantanal.
Daneben trägt der Kühlungseffekt des Regenwaldes zur Stabilisierung des Erdklimas bei – durch die sogenannte Transpiration (Verdunstung von Wasser über die Blattunterfläche einer Pflanze). Er speichert in seinen vielen Bäumen eine Riesenmenge an Kohlenstoff, die zwischen 15 und 20 Jahren der globalen CO2-Emissionen entspricht. Ein Hektar Amazonas-Regenwald kann über 300 von den mehr als 15'000 verschiedenen, hier vorkommenden Baumarten enthalten. Durch diese enorme Vielfalt – nicht nur der Bäume, sondern auch vieler anderer Organismen – erhöht die Widerstandsfähigkeit des Waldes.

Dennoch prognostizieren die Forschenden dem Regenwald eine düstere Zukunft: Auf Grund von klimatischen und landnutzungsbedingten Störungen wird in den kommenden Jahrzenten ein Massensterben in grossen Teilen des Amazonaswaldes stattfinden, welches den Klimawandel beschleunigen könnte.

Die Prognosen

Anhand ihrer Untersuchungen kamen die Forschenden zu folgendem Ergebnis: Der Amazonas-Regenwald könnte einen klimatischen Kipppunkt bereits im Jahr 2050 erreichen – nicht wie bisher gedacht erst nach 2100. Zwischen 10 und 47 Prozent der Amazonas-Waldflächen werden, je nach Entwicklungszenario, unter verschiedenen Störungen (bspw. Wassermangel) zu leiden haben. Dies dürfte unerwartete und möglicherweise unumkehrbare Veränderungen der Ökosysteme auslösen sowie den regionalen Klimawandel verschlimmern: Bereits unter einer Jahresniederschlagsmenge von 1'800 Liter pro Quadratmeter besteht die Gefahr, dass aus dem Regenwald eine Wald- oder gar eine Savannenlandschaft mit ausgedehnten Trockenzeiten wird. Um dies zu verhindern, dürfte die Erde den Wert von 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Wert nicht überschreiten.  

Was kann getan werden?

Ob der Kipppunkt tatsächlich überschritten wird, hängt vom lokalen Wetter, dem globalen Klima und von weiteren Abholzungen ab. Diese Faktoren hängen alle zusammen und verstärken sich gegenseitig. Weltweit müssen also Treibhausgasemissionen stark gesenkt werden. Vor Ort müssen die Abholzungen des Regenwaldes aufhören und zerstörte Gebiete wieder aufgebaut werden. Insgesamt mindestens 90 Prozent des ursprünglichen Amazonas-Regenwaldes bestehen bleiben, um unvorhersehbare Folgen auf das regionale und globale Klima, die Biodiversität und die menschlichen Lebensgrundlagen vor Ort sicher zu vermeiden.

Quellen und weitere Informationen
Nature: Critical transitions in the Amazon forest system