Die Erweiterung der planetarischen Gemeingüter

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fordern, dass Erdsysteme wie der boreale Permafrost und der Amazonas-Regenwald auf Grund ihrer hohen klimatischen Einflüsse als Gemeingüter behandelt werden.

Die Erweiterung der planetarischen Gemeingüter
Klima-Kippelemente sollen über die nationalen Grenzen hinaus geschützt werden (Alan Frijns, Pixabay)

Um die Erdsystem-Regulationsfunktionen effektiver und umfassender zu sichern ist es massgeblich, neue Methoden zu entwickeln. Ein bereists existierender Ansatz ist das Global Commons Framework.
Die grundsätzliche Idee dieser globalen Gemeinschaftsgüter ist: Alles, was weltweit kollektiv benötigt wird, sollte auch allen gehören und damit von jedem genutzt und geschützt werden. Dazu gehören unter anderem die Antarktis, der Weltraum oder die Atmosphäre. Doch um Klima- und Umweltschutz weltweit zu verwirklichen, genügt das Global Commons Framework nicht. Forschende aus verschiedenen Bereichen meinen deshalb, dass auch Kippelemente als Gemeinschaftsgüter im Klimasystem betrachtet werden sollten. Zudem hat ein grosses internationales Forschungsteam auf der COP28 einen umfassenden Bericht über die Kipppunkte im Erdsystem und deren potenzielle Auswirkungen sowie Möglichkeiten für gesellschaftliche Veränderungen publiziert.

Was sind Klima-Kippelemente?

Klima-Kippelemente sind wichtige Bestandteile des Erdsystems. Obwohl sie auch bei zunehmender Erderwärmung zunächst stabil bleiben, können sie ab dem Erreichen eines bestimmten Schwellenwertes (Kipppunkt) durch geringe zusätzliche Störungen «kippen»: Sie werden in einen neuen Zustand übergehen. Dieser kann dauerhaft zur neuen Realität werden, selbst wenn die klimatischen Bedingungen unter den Schwellenwert zurückgehen. Ist beispielsweise der Regenwald erstmal weg, wird es den Pflanzen grosse Mühe bereiten, auf seinen ausgelaubten Böden wieder Fuss zu fassen. Zudem besteht durch Rückkopplungsprozesse das Risiko einer Kettenreaktion, wodurch dementsprechend weitere Kipppunkte überschritten werden.

Die Wissenschaftler unterscheiden zwischen regionalen und globalen Kippelementen. Die aktuellsten Daten (2022) zeigen neun globale Kern-Kippelemente, die relevant für ein funktionierendes Erdsystem sind. Zusätzlich gibt es sieben weitere regionale Kippelemente, die für die Lebensqualität der ansässigen Menschen oder als «einzigartiges Merkmal der Erdsysteme» von Bedeutung sind. Solche Klima-Kippelemente sind bspw. die tropischen Regenwälder, der Eisschildverlust in der Antarktis, Korallenriffe und bewaldeter Permafrost.

Durch die Erderwärmung drohen derzeit bereits fünf Kippsysteme, ihren jeweiligen Schwellenwert zu überschreiten: Der grönländische und der westantarktische Eisschild, die subpolare Wirbelzirkulation im Nordatlantik, Warmwasserkorallenriffe und einige Permafrost-Gebiete. Steigt die globale Erwärmung auf 1,5 Grad an, könnten einige weitere Systeme – etwa die nördlichen Wälder und die Mangroven – in den 2030er Jahren von Kippeffekten bedroht sein.

Vom Amazonas-Regenwald bis zu den Eismassen Grönlands steigt die Gefahr, Veränderungen in der Funktionsweise des Erdsystems auszulösen, die unumkehrbar und unkontrollierbar sein könnten. Da diese Veränderungen Menschen auf der ganzen Welt betreffen, argumentieren wir, Kippelemente als planetarische Gemeingüter zu betrachten, die der Welt anvertraut wurden und daher einer gemeinsam koordinierten Steuerung bedürfen.
– Erstautor Johan Rockström vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

Kippelemente als Gemeinschaftsgüter

Zwei Jahre lang haben Forschende aus den Politik-, Rechts- und Erdsystemwissenschaften diskutiert und schlagen nun ein neues Framework vor: «The Planetary Commons». Es soll sich von den Global Commons unterscheiden, indem es zusätzlich zu den weltweit gemeinsam verwalteten geografischen Regionen auch kritische biophysikalische Systeme umfasst. Gemeint sind damit – neben den bisherigen Gemeinschaftsgütern aus der Geo-, Kryo-, Hydro- und Atmosphäre – Teile der Biosphäre: Etwa grosse Waldsysteme oder natürliche Kohlenstoffsenken. Diese Elemente beeinflussen das Klima und die Kipppunkte signifikant. Die planetarischen Gemeinschaftsgüter sollen Verantwortungspflicht für die Steuerung des Erdsystems schaffen. Diese wiederum zielt auf die Stärkung sowie Rekonstruktion der planetarischen Widerstandsfähigkeit und Gerechtigkeit ab. Der Ansatz stellt eine Herausforderung auf globaler Ebene dar und erfordert komplexe Lösungen, die über die nationalen Grenzen hinausgehen.

Die kritischen Regulierungssysteme der Erde werden heute durch menschliche Aktivitäten in einem noch nie dagewesenen Ausmaß unter Druck gesetzt. […] Unser globales Umweltrecht reicht nicht aus, um diese Krise zu bewältigen und sicherzustellen, dass die planetaren Belastungsgrenzen nicht überschritten werden. Deshalb brauchen wir dringend planetare Gemeinschaftsgüter, auch als neuen Rechts-Ansatz, der die kritischen Erdsystemfunktionen wirksamer schützen kann.
– Co-Autor Louis Kotzé (Rechtswissenschaftler) von der North-West University in Südafrika

Angesichts der schnell voranschreitenden Veränderungen durch den Klimawandel, die selbst die Klimaforscher verblüffen, muss auch schnell gehandelt werden – unabhängig davon, in welchem Land die Güter liegen. Denn letztendlich schreiben die Kipppunkte vor, wie lebenswert unser blauer Planet bleibt.